Die St. Matthäus Gemeinde Melle verfügt eigentlich über zwei Kirchen. Die alte Kirche, in der auch die historische Orgel steht, wurde Ende der 60er Jahre zu klein für die wachsende Zahl der Gemeindemitglieder und so entschloss man sich für einen Kirchenneubau. Die neue Kirche wurde direkt an die Wand der alten Kirche gebaut, so dass man direkt von der einen zur anderen Kirche gehen kann. Daher verfügt die Gemeinde auch über zwei Orgeln, der Klausing-Orgel von 1713 und einer moderneren zweimanualigen Breil-Orgel von 1976.
Seit 2009 darf sich die Kirchengemeinde St. Matthäus nun an dem von der Orgelbaufirma Ahrend vorbildlich restauriertem Instrument erfreuen. Dank eines äußerst effektiv arbeitenden Orgelbauvereins, der die Gelder für die Restaurierung in Höhe von ca. 670.000 € schon vor Fertigstellung zusammen brachte, konnte in Zusammenarbeit mit einem hochkarätigem Sachverständigen Rat eine konsequente Rückführung der Orgel auf ihren historischen Zustand realisiert werden. Doch schauen wir uns diese beachtenswerte Restaurierung einmal genauer an.
Der Orgelbauer
Die Herforder Orgelbauerfamilie Klausing (die Schreibweise Clausing ist in den Quellen ebenfalls geläufig) wirkte in zwei Generationen mit dem Vater Hinrich Klausing und seinen beiden Söhnen Johann Berenhard und Christian Klausing vornehmlich im Gebiet Westfalens. Leider ist über die Familie wenig bekannt. Der Vater baute nachweislich Orgeln zwischen 1666 und 1716, während sein Sohn Johann Berenhard, der Erbauer der Meller Orgel, ab 1711 als Vertreter des Vaters auftritt. Das Geburtsjahr und Geburtsort von Johann Berenhard sind unbekannt. Er starb 1761/1762 in Herford nachdem er dort seit 1724 zum Organisten und Structuarius der Münsterkirche gewirkt hatte. Als Orgelbauer reichte seine Schaffensperiode in etwa von 1711-1745. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass ein weiterer Sohn Hinrich Klausings (insgesamt hatte vier Söhne und zwei Töchter), gleichen Namens 1675 in Herford geboren, Theologieprofessor in Leipzig war und mit J. S. Bach im regen Austausch stand. Sicher wurde in dem ein oder anderen Gespräch auch über den Orgelbau der Familie Klausing gesprochen.
Die Werke der „Herforder Orgelmacher“ zeichnen sich im Prospekt durch einen großen polygonalen Mittelturm, der zu beiden Seiten durch ein- oder zweigeschossige Flachfelder begrenzt wird aus. An diese Falchfelder schließen sich dann wiederum kleine polygonale Außentürme an. Bei den Söhnen Johann Berenhard und Christian verschwinden dann später die Flachfelder zugunsten von Spitztürmchen, die sich zu je zweien um den Mittelturm ranken. An der Meller Orgel kann man Gestaltungsprinzipien beider Generationen ablesen.
Zur Baugeschichte der Klausing-Orgel Melle
Die Klausing-Orgel von Melle wurde ursprünglich gar nicht für die Meller Kirche, sondern für das Dominikanerkloster in Osnabrück gebaut. In der Zeit zwischen 1705-1714 wurde das Kloster in einer Zeit des großen wirtschaftlichen Aufschwungs umfangreich erweitert. Der Westflügel wird neu gebaut, das Glockengeläute erweitert, ein neues Bild für den Hochaltar in Auftrag gegeben und eine neue Orgel wird bestellt. Lediglich eine Holzleiste in einem der Flachfelder des Orgelprospektes gibt uns heute Auskunft über das tatsächliche Baujahr der Orgel, 1713.
Die Orgel wurde ursprünglich als Lettner-Orgel gebaut und hatte aufgrund der geringen Tiefe eine seitliche Spielanlage. Ein eigenständiges Pedalwerk gab es nicht. Dies erklärt zum einen vielleicht die ungewöhnliche Disponierung des Hauptwerks mit einer Posaune 16' und zum anderen die beschnitzten und leicht durchbrochenen Füllungen der Orgelrückwand. Auffallend ist sicher auch der vollausgebaute Manualumfang von C – c'''. Die sogenannte kurze Oktave, die in Norddeutschland zu der Zeit üblicherweise gebaut wurde, findet man in Westfalen bereits weit vor Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr.
1725 verlegte man den Standort der Orgel vom Lettner herunter ins Kirchenschiff. Im Zuge der Säkularisation wurde auch das Osnabrücker Kloster aufgelöst und das Kircheninventar an „ärmere Gemeinden“ verschenkt. Die Translozierung der Orgel nach Melle geschah 1819, nachdem die Kirchengemeinde Melle 1811 sich schriftlich um die Orgel beworben hatte. Bis auf die Vox humana 8' (wurde in die Orgel der Johanniskirche in Osnabrück eingebaut), die in Melle mit einer Rohrflöte 4' ersetzt wurde, gelangte die Orgel nach Melle. Dort wurde sie aufgrund der geringen Gewölbehöhe ohne die Figuren, die ursprünglich das Hauptwerk bekrönten, aufgestellt.
Maßnahmen der Restaurierung
Nach einigen gravierenden Umbauten und Veränderungen u. a. durch die Firma Kersting (1861) und der Firma Breil (1964) entschied man sich bei der jüngsten Restaurierung durch die Firma Ahrend zu einer konsequenten Rückführung auf den historischen Zustand der Klausing-Orgel. Dies beinhaltete folgende Punkte:
Die Orgel heute
Nach gut einem Jahr Erfahrung mit der Orgel kann man wirklich sagen, dass die Orgelrestaurierung in vollem Umfang gelungen ist. Durch die kluge und umsichtige Arbeit des Sachverständigen Ausschusses, unter der Leitung von Prof. Franz-Josef Rahe, konnte somit ein Instrument entstehen, das zu den wertvollsten Denkmalorgeln Westfalens und des norddeutschen Kulturraumes gezählt werden darf. Die Meller Klausing-Orgel ist wohl die bedeutsamste, größte und am besten erhaltene Orgel der Herforder Orgelbauerfamilie. Kanglich sehr sensibel intoniert, von feinem und noblen Charakter, verbunden mit einem äußerst präzisen und komfortablen Spielgefühl, bringt die Orgel Spieler und Zuhörer zum Schwelgen. Da die Orgel in der alten Kirche steht, wird sie unter der Woche für die Werktagsgottesdienst verwendet. Die monatlichen Orgelkonzerte am jeweils zweiten Sonntag des Monats unter dem Motto „Orgel trifft...“ sollen der Gemeinde einen unkomplizierten Zugang zu ihrer Orgel und der Alten Musik bringen. Weitere Konzerte und Veranstaltungen rund um die Orgel runden das Angebot ab.
Literatur
Die Klausing-Orgel von St. Matthäus, Festschrift zur Orgelweihe
Die Orgelbauerfamilie Klausing, Marianne Borgmeyer
Orgeln in Westfalen, Rudolf Reuter